27.04.2025

Taiwan Today

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Eine Insel mit vielen Namen

01.10.2008
Früher war die Grüne Insel für die Bewohner Taiwans ein geheimnisumwitterter Ort, doch inzwischen entwickelt sich das Eiland zu einem ihrer beliebtesten Reiseziele. (Foto: Archivfoto)

Auf der Grünen Insel können Touristen Entspannung finden und auch etwas über Taiwans Vergangenheit erfahren.

Die klimatisierte Fähre verringert ihr Tempo und nähert sich einer Insel 33 Kilometer vor Taiwans Südostküste. Es ist ein Morgen Ende Juli, und als sich die 50-minütige Bootsfahrt von Taitungs Hafen Fugang dem Ende zuneigt, setzen sich viele der Touristen an Bord bereits Hüte und Sonnenbrillen auf oder legen sogar langärmelige Hemden an, und junge Frauen holen Sonnenmilch und Sonnenschirme aus ihrem Gepäck. All dies sind an einem brütend heißen Tag Vorbereitungsmaßnahmen für eine Landung auf einem Fleckchen Erde, das früher als Taiwans "Brennende Insel"(火燒島) bekannt war. In der Ferne ist die Silhouette des Brennenden Berges hinter dem Hafen zu erkennen. Zwar hat der Hügel nur eine Höhe von 281 Metern, doch der Brennende Berg ist der höchste Gipfel der Insel, und der Hafen auf der Westseite des Eilandes ist der einzige Hafen.

Die "Brennende Insel" trug ihren Namen aus mehreren Gründen, doch überraschenderweise gehört das heiße Sommerwetter nicht dazu. Beispielsweise soll vor Jahrhunderten eine große Feuersbrunst die gesamte Insel heimgesucht haben. Ein anderer ehemaliger Spitzname ist "Hühnerherzinsel"(雞心嶼), was wohl auf die Form der Insel zurückgeht. Brennende Insel war aber der offizielle Name, bevor das vulkanische Eiland im Jahre 1949 in "Grüne Insel"(綠島) umgetauft wurde, und heute gehört sie zu den beliebtesten Reisezielen Taiwans.

Kurz nach der Ankunft der Touristen am Hafenpier mieten die meisten sich einen Motorroller, was im Schnitt pro Tag 300 NT$ (6,52 Euro) kostet, und knattern die kurze Strecke zur einzigen Tankstelle der Insel. Anschließend fährt man zum gebuchten Hotel oder Gästehaus, die meisten dieser Etablissements befinden sich im Nord- und Nordwestteil der Insel. Nur sehr wenige Besucher nutzen den öffentlichen Minibus, der einmal pro Stunde die 20 Kilometer lange Straße rund um die Insel bedient. Mit einem Roller, dem üblichsten Verkehrsmittel sowohl für die Touristen als auch für die Einheimischen, kommt man bequemer herum und kann auch den angenehmen Fahrtwind im Haar spüren, was am Spätnachmittag, wenn die Hitze ein wenig nachlässt, besonders gut tut.

Die meisten Touristen bleiben eine Nacht auf dem Eiland, die eine Fläche von nur 16,2 Quadratkilometern und eine Bevölkerung von annähernd 3000 gemeldeten Einwohnern hat -- die tatsächliche Zahl der permanenten Einwohner dürfte deutlich geringer sein. Fast alle Besucher unternehmen eine Rundfahrt um die Insel auf der einen Hauptstraße, die an der Küste verläuft. Wie die benachbarte Orchideeninsel (Lanyu蘭嶼) 75 Kilometer weiter südlich ist die Grüne Insel für ihre Felsformationen am Ufer bekannt, wobei die auf der Orchideeninsel zerklüfteter sind. Anders als auf der Orchideeninsel wird man auf der Grünen Insel aber kaum Ureinwohner antreffen. Zwar waren Ureinwohner auf der Grünen Insel einst die größte Bevölkerungsgruppe, doch sie wurden allmählich von den Han-Chinesen verdrängt, seit diese in großer Zahl am Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Grüne Insel zu ziehen begannen, und die meisten Ureinwohner zogen schließlich nach Taiwan oder auf die Orchideeninsel.

Viel zu sehen

Eine kurze Fahrt auf Nebenstraßen der Insel steht auf dem Programm, wenn man eine Stätte wie das verlassene Dorf Youzihu besuchen möchte. Die letzten Bewohner, die in diesem kleinen Weiler in einer Bucht an der Nordostküste lebten, zogen in den achtziger Jahren in stärker besiedelte Gebiete auf der Grünen Insel oder nach Taiwan fort. Die einsame Landschaft verlassener Steinhäuser, die am Ufer verstreut stehen, hat eine besondere Atmosphäre, durch welche Besucher das Wesen des Wortes "Vergangenheit" in den leeren, verfallenden Häusern spüren können.

Nur wenige Besucher verzichten auf eine Besichtigung des Leuchtturms, eine Sehenswürdigkeit der Insel am Nordwestkap. Der Anblick des 33 Meter hohen weißen Turms vor dem Himmel und dem blauen Wasser des Pazifischen Ozeans ist eindrucksvoll, die Geschichte dahinter ist es nicht minder. Im Dezember 1937 sank ein amerikanisches Schiff mit 780 Passagieren und Besatzung an Bord vor der Nordküste der Grünen Insel. Um den Einheimischen für ihre Rettungsanstrengungen, durch welche die Schiffbrüchigen allesamt mit dem Leben davonkamen, zu danken, und um die Navigationssicherheit in der Gegend zu verbessern, finanzierte die US-Regierung den Bau des Leuchtturms, der 1939 fertiggestellt wurde.

Auf der anderen Seite der Insel an der Südostecke befindet sich die heiße Quelle Chaojih Hot Spring, gleichfalls eine Station auf der Reiseroute, die kaum jemand verpassen will. Die Badebecken an der Quelle wurden von der Nationalen Ostküsten-Landschaftsgebietsverwaltung des Tourismusamtes angelegt, welche die Anlage heute weiterhin betreibt und die Grüne Insel im Jahre 1990 ihrer Verwaltung unterstellte.

Die Chaojih Hot Spring gilt als eine von nur drei heißen Quellen mit Seewasser auf der ganzen Welt; die anderen beiden befinden sich auf Sizilien und auf der japanischen Insel Kyushu. Die Becken bieten ein erfrischendes Bade-Erlebnis unter freiem Himmel, ein anderer Grund für ihre Beliebtheit. "Es ist wirklich angenehm, sich im Becken zu entspannen, während man dem Rauschen der Wellen lauscht und sich am Anblick der nahen Berge erfreuen kann", wirbt Joseph Chien, ein Besucher aus Taichung. Noch besser ist, dass die Anlage von Mai bis Oktober rund um die Uhr geöffnet ist und man nach Osten blickt, so dass Besucher planschend den Sonnenaufgang beobachten und dadurch die volle Bedeutung des Namens der Quelle -- chaojih = Morgensonne -- begreifen können.

Für Freunde der Tier- und Pflanzenwelt ist die Grüne Insel zweifellos ein ideales Reiseziel, und für Ozean-Enthusiasten gibt es viele idyllische Schnorchelplätze. Die Unterwasser-Ansichten sind atemberaubend schön, was der Kuroshio-Strömung zu verdanken ist, also dem starken Warmwasserstrom, der von den Philippinen nach Japan durch den Nordwestpazifik verläuft und unterwegs an der Grünen Insel vorbeistreicht. Die Strömung führt verschiedene Fischarten mit sich, so dass die Einheimischen in der Vergangenheit von großen Fischfangmengen profitierten und heute den Touristen Tropenfische in allen Farben zeigen können. Über 400 Arten tropischer Korallenriff-Fische und 200 Korallenarten bereichern die herrliche Unterwasserwelt, welche die Grüne Insel umgibt. Um die ozeanische Ökologie in Chaikou und Shihlang, zwei beliebten Plätzen zum Schnorcheln und Tauchen, zu schützen, erklärte die Kreisverwaltung Taitung sie im Jahre 2001 zu Naturschutzgebieten.

Neben Schnorchel-Ausflügen, die von beinahe allen Hotels und Gästehäusern arrangiert werden können, kann man auf der Insel auch seltene Arten landgestützter Tiere und Insekten antreffen. Vor fünf Jahren begannen lokale Unternehmen damit, überwiegend bei Nacht Führungen anzubieten, damit Touristen mehr über örtliche Arten erfahren können, berichtet Gästehaus-Inhaber Tien Hui-hung. Es ist nicht schwer, nach Einbruch der Dunkelheit Tiere wie das Tsuda-Riesenstabinsekt (Megacrania alpheus sensu Willemese) zu finden, und mit etwas Glück kann man außerdem Kokosnuss-Krabben (Birgus latro), indischen Ochsenfröschen (Rana tigrina), dem Formosa-Flugfuchs (Pteropus dasymatlus formosus, eine Fledermausart) oder gar einer Formosa-Zibetkatze (Paguma larvata) begegnen. Touristen dürfen jedoch nicht vergessen, dass sie die Tiere lediglich anschauen dürfen, denn sie alle sind seltene Arten und stehen unter gesetzlichem Schutz.

Der aus Taiwan eingeführte Sikahirsch (Cervus nippon) ist gleichfalls häufig anzutreffen und ein Vermächtnis der Vergangenheit. In den siebziger Jahren lebten viele Einheimische nicht nur vom Fischfang, sondern auch von der Hirschzucht. Man züchtete die Tiere der Geweihe wegen, die in der traditionellen chinesischen Heilkunde Verwendung finden, was überdies eine wichtige Finanzquelle für die Lokalbehörden war. Als ab den achtziger Jahren aber Sikahirschgeweihe aus Taiwan importiert wurden, lohnte sich die Hirschzucht auf der Grünen Insel immer weniger, und im Jahre 1986 entließ das Gemeindebüro 200 Sikahirsche in die freie Wildbahn. Deren Nachkommen kann man heute auf den Hügeln der "Hirsch-Insel" sehen, einem weiteren Spitznamen der Grünen Insel.

Daneben lohnt es sich, sich die Zeit zur Beobachtung des Pflanzenlebens der Insel zu nehmen. In den Küstengebieten sind Schraubenpinien (Pandanus utilis), aus deren Früchten ein beliebtes lokales Getränk hergestellt wird, eine verbreitete Pflanzenart. Örtliche Exemplare der Riff-Pemphis (Pemphis acidula) sind einzigartig, da sie auf der Grünen Insel aufrecht zu einer Höhe von zwei Metern wachsen, während die Pflanze sonstwo in Taiwan auf dem Boden wächst. Eine Wanderung in die Berge, gewöhnlich nur von Personen unternommen, die mindestens zwei Nächte auf der Grünen Insel verweilen, ermöglicht ein eindrucksvolleres Erlebnis der üppigen Landschaft. Im Allgemeinen sind die holzartigen Pflanzen auf der Grünen Insel eng mit denen auf der Orchideeninsel und auf den Philippinen verwandt, wogegen Kräuterpflanzen näher mit denen in Taiwan verwandt sind.

Die heiße Quelle Chaojih Hot Spring ist eine von nur drei heißen Salzwasserquellen dieses Planeten und ein herrlicher Ort zum Entspannen. (Foto: Courtesy East Coast National Scenic Area Administration)

Gehe in das Gefängnis

Neben konventionellen Ferienaktivitäten sollten die Besucher der Grünen Insel eine Visite in der örtlichen Strafanstalt nicht versäumen. Dank der isolierten Lage und der starken Strömungen in den Gewässern zwischen der Grünen Insel und Taiwan war das Eiland ein idealer Ort für Inhaftierung, und tatsächlich ist auch heute noch ein Gefängnis in Betrieb. So wie die Insel Alcatraz vor den Ufern San Franciscos nutzt die Grüne Insel gleichermaßen ihre Strafvollzugs-Geschichte für den Fremdenverkehr.

Anders als die typischeren Sehenswürdigkeiten birgt ein Besuch in den stillgelegten Knästen der Grünen Insel eine pädagogische und ungewöhnliche Ferien-Erfahrung. Als Erste betrieben die Japaner in der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) während des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts eine Strafanstalt. Als die von der Nationalen Volkspartei (Kuomintang, KMT) geführte Regierung der Republik China im Jahre 1945 Taiwan übernahm und sich 1949 vom Festland nach Taiwan zurückzog, vollzog sich in Taiwan eine längere Periode von Instabilität und Chaos. Es herrschten starke soziale Spannungen, genährt von Zusammenstößen zwischen alteingesessenen Taiwanern und der damals autoritären KMT-Regierung sowie von Furcht vor einem Übergreifen des Kommunismus nach Taiwan. In dieser Situation wurde die Grüne Insel wieder einmal zum Standort für schwedische Gardinen, dieses Mal jedoch für Tausende von Dissidenten und die Opfer politischer Hexenjagd, die von 1951 bis zur Aufhebung des Kriegsrechts 1987 anhielt. Unter den Insassen fanden sich auch einige politische Gefangene, die später zu Schwergewichten in der Demokratischen Progressiven Partei (DPP) wurden, die 1986 gegründet wurde und zwischen 2000 und 2008 die Regierungsgewalt in der Republik China ausübte.

Auf ihrem "Höhepunkt" von den frühen fünfziger Jahren bis Mitte der sechziger Jahre wurden im Schnitt 2000 politische Gefangene in der Vollzugsanstalt auf der Grünen Insel festgehalten. Ab 1965 nahm die Zahl der politischen Gefangenen ab, doch 1972 wurde ein neuer Gefängnistrakt für überwiegend nicht-politische Sträflinge gebaut. In den neunziger Jahren wurde ein weiteres Staatspensionat in Betrieb genommen, 2002 aber wieder geschlossen. Heute wird nur noch das 1972 errichtete Gefängnis benutzt, gut 200 Verbrecher sitzen dort hinter Schloss und Riegel.

"Die Grüne Insel war für viele in Taiwan lebende Menschen ein geheimnisumwitterter Ort, weil so viele politische Gefangene dorthin geschickt wurden", erklärt Cheng Wen-jen, Sekretär des Vorstehers des Gemeindebüros Lyudao. Diese einzigartige Geschichte der Grünen Insel erweist sich nun als Kapital für den Fremdenverkehr.

1999 wurde ein Menschenrechts-Mahnmal eröffnet, um an die Geschichte des Eilandes voller Blut und Tränen zu erinnern. Die vom bekannten taiwanischen Architekten Han Pao-teh entworfene Anlage ist heute eine planmäßige Station auf jeder Reiseroute über die Grüne Insel. Die nahe gelegenen stillgelegten Gefängnisanlagen, die 2002 für die Öffentlichkeit freigegeben wurden, werden gleichfalls nicht ausgelassen. Die Besucher können die ehemaligen Einrichtungen der Strafanstalt anschauen, einschließlich die Zellen der Häftlinge, um sich direkt ein Bild über ihr elendes Dasein dort zu machen.

All diese Stätten sind im 32 Hektar großen Menschenrechts-Gedächtnispark inbegriffen, der vom Rat für Kulturangelegenheiten (Council for Cultural Affairs, CCA) geplant ist. Der CCA ist dabei, die stillgelegten Strafhäuser für den Park zu renovieren, doch er organisiert auch das Menschenrechts-Kunstfestival der Insel, das seit dem 17. Mai 2005 jedes Jahr stattfindet. Das Datum des Festivals wurde zur Erinnerung an jenen Tag im Jahre 1951 ausgewählt, als zum ersten Mal politische Gefangene auf der Grünen Insel eintrafen. Die Veranstaltung hat jedes Jahr ein anderes Hauptthema, dieses Jahr stand die Erziehung der Jugend über Menschenrechte im Mittelpunkt. Das Fest des Jahres 2008 dauerte drei Tage, und es nahmen viele junge Leute daran teil. Die Besucher konnten dabei nicht nur die Gefängniseinrichtungen besichtigen und Freiluftvorstellungen ansehen, sondern konnten auch mit ehemaligen politischen Gefangenen über ihre Erfahrungen als Häftlinge auf der Insel sprechen.

Blick nach vorn

Das kulturelle und historische Erbe übt auf Touristen wie Joseph Chien, die sich wohl lieber in der heißen Quelle entspannen, keine besonders große Anziehungskraft aus, aber es könnte einige Ausflügler dazu veranlassen, in Zukunft der Insel einen längeren und eindringlicheren Besuch abzustatten. Das ist insofern von Bedeutung, als die Touristenzahlen dort vom Spitzenwert von fast 400 000 im Jahre 2004 auf 323 000 im vergangenen Jahr zurückgegangen sind. Gemeindebüro-Sekretär Cheng Wen-jen sieht die Ursache dafür in der stagnierenden Wirtschaft und der Tatsache, dass die Taiwaner nicht mehr so viel Geld in den Taschen haben wie in den Vorjahren. Mehr Sehenswürdigkeiten könnten nach Chengs Meinung aber die Besucherzahlen steigern.

Im vergangenen Jahr wurde ein Sikahirsch-Park mit 23 Hektar Fläche eröffnet, eine neue Attraktion, wo man die Paarhufer und auch andere auf der Insel lebende Arten betrachten kann. Im Mai wurde die Kreisverwaltung Taitung an der Südwestküste des Eilandes für den Schutz des Langflossen-Fledermausfisches (Platax teira) aktiv, der bei Tauchern und Schnorchlern sehr beliebt ist. All diese Bemühungen sollen gemeinsam mit dem Gedächtnispark den lokalen Fremdenverkehr auf Vordermann bringen.

Es ist allerdings auch nicht zu leugnen, dass es bei den Einrichtungen auf der Grünen Insel noch Spielraum für Verbesserungen gibt. Man könnte Restaurants und Hotels von internationalem Standard für begüterte Touristen schaffen. Eine anderes wesentliches, wenn auch natürlicheres Hindernis für den Ausbau des Fremdenverkehrs ist das Wetter. Verglichen mit der Spitzensaison im Sommer kommen erheblich weniger Menschen zwischen Oktober und März, wenn ein starker Nordostwind weht und die Anreise auf der Fähre bei rauer See kein Vergnügen ist. Beispielsweise besuchten im Juli vergangenen Jahres 74 000 Touristen die Grüne Insel, im Dezember des gleichen Jahres waren es lediglich 5100. Im Winter ist der Bootsverkehr außerdem unzuverlässig, an manchen Tagen fährt nur ein Schiff, an manchen gar keins. Eine wichtige Voraussetzung für Fremdenverkehr, nämlich leichter Zugang, ist auf der Grünen Insel also nicht immer gewährleistet.

Für Touristen ist die übliche Anreiseroute zeitraubend. Nach Angaben des Gemeindebüros Lyudao fahren die meisten mit der Eisenbahn nach Taitung, vom Bahnhof aus mit dem Taxi zum Hafen und dann mit der Fähre zur Grünen Insel. Für die Fahrt nach Taitung ist die Eisenbahn beliebter als das Flugzeug, nicht nur wegen des Preises, sondern auch weil Taipeh die einzige Stadt ist, von der aus Flüge nach Taitung geboten werden. Von Taitung fliegt eine kleine Propellermaschine zur Grünen Insel, doch diesen Weg wählen nur wenige Touristen. "Der Verkehr ist so umständlich", klagt der Tourist Lee Shih-wei aus Taipeh. "Allein die Zugfahrt nach Taitung dauert sechs Stunden."

Andererseits könnte der Schwund beim Fremdenverkehr der letzten Jahre von all jenen begrüßt werden, in deren Augen schon zu viele Motorroller auf der Grünen Insel herumknattern, Krach machen, die Luft verpesten und rund um die Einrichtungen der Insel für Parkplatznöte sorgen. "Vor allem ältere Mitbürger beklagen sich über die Roller", kolportiert Cheng Wen-jen. "Sie sind ein stilleres Leben gewöhnt."

Auch durch steigenden Frischwasserbedarf hat der Tourismus Auswirkungen auf die lokale Ökologie. "Auf der Straße nach Nanliao, wo die Hotels und Gästehäuser dichter stehen, haben manche Betreiber so viel Grundwasser abgepumpt, dass es sich mit Meerwasser zu vermischen beginnt", enthüllt Wu Chih-sheng, Oberförster in einer Station, welche die Nationale Ostküsten-Landschaftsgebietsverwaltung im Jahre 1991 aufbaute.

Als Reaktion auf die Probleme durch Überentwicklung haben manche Umweltschützer und auch einige Behörden der Zentralregierung dazu aufgerufen, die Zahl der Touristen auf der Grünen Insel zu beschränken. Da aber bis zu 80 Prozent der Insulaner zumindest im Teilzeiterwerb mit Fremdenverkehr zu tun haben, stießen Überlegungen zur Begrenzung der Touristenzahlen laut Cheng vom Gemeindebüro auf starke lokale Opposition.

Glücklicherweise haben manche Einheimische selbst begonnen, Maßnahmen zum Schutz ihrer Inselheimat zu ergreifen. Einer von ihnen ist der Gästehaus-Inhaber Tien Hui-hung. Tien gehörte zu den Einwohnern, welche 2006 die Gründung eines Verbandes vorantrieben, der den Schutz der lokalen Ökologie und die Förderung des Fremdenverkehrs zum Ziel hat. Beispielsweise beobachten die Mitglieder der Gruppe abwechselnd die Ozeanreservate und werben gemeinsam mit dem Gemeindebüro für umweltfreundliche Touren mit mehr Gehalt. "Wir wollen die lokalen Betreiber von Restaurants und Hotels darin schulen, die Qualität ihrer Dienstleistungen zu verbessern", gelobt Tien. "Und wir planen und fördern gehaltvolle Führungen, die mindestens zwei Übernachtungen umfassen, damit die Touristen die Insel besser kennen lernen und vermeiden, ihr Schaden zuzufügen."

Als eines von Taiwans beliebten Reisezielen ist die Grüne Insel zwar klein, doch sie bietet Geschichte, Kultur und Schönheit der Natur. Ein solcher Ort ist es nicht nur wert, erkundet zu werden, sondern auch Umweltfragen verdienen die Aufmerksamkeit von Besuchern wie Einheimischen gleichermaßen.

                                                                                                                  (Deutsch von Tilman Aretz)


 

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